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Donnerstag, 14. Januar 2021

„Das Problem ist, dass fast keiner reden will“ Schikane und sexuelle Gewalt im Junioreneishockey in Kanada: Fred Ledlin spricht von erstem Erfolg, aber Verschwiegenheitskultur bleibt

Fred Ledlin mit seinem Sohn Mark, der in der Oberliga für Memmingen spielt.

Drei Wochen sind vergangen seit der langjährige Deutschland-Legionär Fred Ledlin über Schikane, Erniedrigungen, Gewalt und sexuellen Missbrauch in Kanada während seiner Juniorenzeit zu Beginn der Achtzigerjahre berichtete. Öffentliche Reaktionen gab es seither wenig, im Hintergrund aber passiert etwas.

„Das Problem ist, dass fast keiner reden will“, erzählt Ledlin. So habe er kurz nach dem Artikel einen Anruf eines Freundes erhalten. „Er hat alles mitgemacht: Die heiße Salbe, die Sache mit dem Eimer und dem Schnürsenkel“, erzählt Ledlin. Sein Freund habe aber gedacht, er sei damals der einzige gewesen. „Ich weiß, wie schlimm die Schmerzen sind“, habe er ihm am Telefon erzählt – und auch dass er in den USA „unheimlich viel Alkohol, zwei Flaschen Whiskey auf einmal“ als Mutprobe trinken musste, was Ledlin aus Kanada nicht kannte.

Doch auf die Frage, warum er nicht in die Öffentlichkeit geben möchte, habe sein Freund geantwortet. „Ich habe eine Frau, ich habe Kinder – ich möchte das nicht.“ Ledlin versteht das. „Für manche Leute ist das schwierig darüber zu reden, für mich war es das auch.“ Es sei seine Pflicht, seine Geschichte zu erzählen, nicht die der anderen. Und er wisse, dass nach wie vor eine große Verschwiegenheitskultur herrsche. Auch aus Angst um Jobs im Eishockey und Kontakte.

Aufrufe von Eishockey NEWS an Betroffene in Deutschland sich zu melden, liefen bisher ebenfalls ins Leere. Auf Facebook ließen allerdings einige User durchblicken, dass auch sie in Deutschland Rituale in Kabinen erlebt haben. Jene, die sich zu Wort meldeten, beschrieben die Vorfälle aber als weit weniger hart, ohne dabei aber konkret zu werden.

Ein weiterer Freund Ledlins berichtet von Rasuren und das Eincremen mit Wäremsalbe – mehr aber nicht. „Ich habe das nicht gewusst“, habe er zu Ledlin gesagt. „Hättest du nur mit mir geredet.“ Auch ein ehemaliger Mitspieler und heutiger erfolgreicher Geschäftsmann aus dem Silcon Valley habe sich per E-Mail gemeldet und geschrieben: „Ich habe das alles nicht gewusst. Aber du willst Kindern helfen. Du bist in meinen Augen ein Held.“

Es gab Reaktionen von ehemaligen Kollegen aus Europa und Nordamerika – USA, Kanada, Finnland, Schweden. Sie alle haben von solchen Vorfällen bereits gehört. Ledlin verzeichnet auch einen ersten Erfolg: Ein kanadischer Freund, der in Österreich lebt, wurde nach dem Bericht hellhörig. Eigentlich wollte er seinen 14-jährigen Sohn nach Kanada schicken. „Ich hab ihm gesagt, er soll genau prüfen, was dort los ist, soll Trainer, Manager, Eigner anrufen und alte Berichte raussuchen.“ Ergebnis: Nach mehreren Anrufen des Vaters und ausführlicher Recherche, wird der Jugendliche nun nach Finnland ins Eishockeyinternat gehen. „Ein Kind hat sich anders entschieden, das war mein Ziel“, freut sich Ledlin.

Und nachdem er auf Vermittlung von Eishockey NEWS auch der nordamerikanischen The Hockey News ein Interview gab (mit Video), habe sich sogar ein ehemaliges Mitglied des Managements der Arizona Coyotes gemeldet. „Es ist bis in den Süden der USA – Kalifornien, Arizona, Florida – vorgedrungen. Das hat mich überrascht und gleichzeitig gefreut.“

Als „kleine Schritte“ bezeichnet der ehemaliger Tölzer Spieler und heutige Stuttgarter Nachwuchstrainer das alles. „Viele Spieler wollen damit nicht in die Öffentlichkeit gehen, aber sie unterstützen mich und bestätigen, was damals passiert ist. Das war mein Ziel.“ Er wolle das Eishockey in Kanada nicht kaputt machen. „Ich möchte nur die Augen öffnen. Bevor man sein Kind irgendwo hinschickt, muss man seine Hausaufgaben machen und sich genau informieren. Wo Rauch ist, ist meist auch Feuer. Ich will nur ein kleines bisschen helfen.“

Die in Kanada eingereichte Sammelklage wird weiter bearbeitet. Sein Anwalt erklärte, frühestens im August könne mit einer Eröffnung gerechnet werden. „Vielleicht wird aber auch nur ein Vergleich geschlossen.“ Für Ledlin ist dieser Fakt nicht so wichtig. „Geld interessiert mich ohnehin nicht. Ich möchte den Kindern helfen, ein Beratungsbüro einrichten, und ich will, dass die CHL und auch die NHL mitmachen.“

Michael Bauer


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Notizen

  • gestern
  • Jordan Murray hat einen neuen Club gefunden. Der Verteidiger, zuletzt in Schwenningen unter Vertrag, unterschrieb beim Klagenfurter AC (ICE HL). Vor seinem Engagement bei den Wild Wings hatte der Kanadier auch für Wolfsburg und Mannheim in der DEL gespielt.
  • vor 2 Tagen
  • Der 23-jährige Stürmer Alexander Komov (38 Spiele, fünf Punkte) erhält einen neuen Vertrag bei Nord-Oberligist Moskitos Essen.
  • vor 3 Tagen
  • Nach der Verpflichtung von Head Coach Bill Peters nimmt das Trainerteam der Augsburger Panther (PENNY DEL) weiter Form an. Auch 2025/26 wird Thomas Dolak weiter als Assistant Coach fungieren. Der 46-Jährige kam im Sommer 2024 aus Düsseldorf. Außerdem wechselt U15-Coach Mika Wendell zu den Profis.
  • vor 3 Tagen
  • Der Österreicher Vinzenz Rohrer hat einen über drei Jahre laufenden Entry-Level-Vertrag bei den Montreal Canadiens unterschrieben. Der 20-Jährige, der 2022 an #75 von den Habs gedraftet wurde, spielte zuletzt bei den ZSC Lions (Schweiz) und hat schon zwei WM-Turniere für Österreich bestritten.
  • vor 5 Tagen
  • Mit Marko Sakic verlängerte der bisherige Co-Trainer der EV Lindau Islanders seinen Vertrag beim Süd-Oberligisten und bleibt damit der Assistent von Cheftrainer Michael Baindl, der dem Club ebenfalls erhalten bleibt.
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