Ausrufezeichen beim Tabellenführer: Gleich acht Treffer durften Jaromir Jagr (links) und seine Rytiri Kladno am abgelaufenen Sonntag bei Sparta Prag bejubeln.
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Die tschechische Extraliga boomt. Der Zuschauerschnitt liegt bei knapp 5.700 Besuchern pro Spiel, und die meisten von ihnen kommen wegen eines Mannes: Jaromir Jagr. Die Ikone des tschechischen Eishockeys spielt in der laufenden Saison in der höchsten Spielklasse des Landes, auch aufgrund seiner eigenen Fähigkeiten – als Besitzer und Hauptgeldgeber, als Manager und Spieler von Aufsteiger Rytiri Kladno. Das Erstaunlichste dabei ist: Der Olympiasieger, Weltmeister und Stanley-Cup-Sieger (damit auch Mitglied des Triple Gold Clubs) wird in exakt einem Monat bereits 48 Jahre alt!
In diesem Alter ist Jagr logischerweise nicht mehr der Schnellste, doch von seiner stocktechnischen Klasse, die Scheibe zu behaupten und per Handgelenkschuss einzunetzen, hat der Oldie kaum etwas eingebüßt. Den neuerlichen Beweis dafür lieferte er am abgelaufenen Sonntag in der Prager O2 Arena: Nicht zuletzt dank seiner vier Scorer-Punkte (je zwei Tore und Assists) fegte der Außenseiter den Spitzenreiter Sparta Prag mit 8:4 vom Eis!
Vor seinem großen Auftritt war indes gar nicht sicher gewesen, ob der beste europäische Scorer der NHL-Geschichte überhaupt auflaufen würde: Der Stürmer pausierte schon sechs Wochen lang wegen einer hartnäckigen Verletzung an den Adduktoren, die er sich – welch Ironie – ausgerechnet beim vorherigen Heimspiel gegen den Prager Traditionsclub zugezogen hatte. Nach der Begegnung in der Hauptstadt aber räumte Kladnos Clubeigner vor Journalisten ein, dass er sich quasi selbst aufgestellt habe: „Wir haben einige verletzte Spieler. Deshalb musste ich einspringen. Ansonsten wäre ich nicht aufgelaufen“, sagte Jagr. Er spielte, obwohl er noch Schmerzen verspüre, wenn er schnellere Bewegungen mache. Daher hatte er sich ein „Rezept“ auferlegt, das er auch befolgt habe: „Ich bin nicht schnell Schlittschuh gelaufen. Im Grunde genommen habe ich die Eisfläche nur durchwandert“, schilderte der Mann des Spiels mit dem Schalk im Nacken.
Jagrs große Show fand ihren Höhepunkt im Schlussdrittel. Bis dahin hatte sich sein Team gegen den leicht überlegenden Tabellenführer tapfer zur Wehr gesetzt und die Fehler der Prager – insbesondere Goalie Jakub Sedlacek hatte nicht seinen besten Tag erwischt – eiskalt bestraft. So ging es beim Stand von 4:4 in den dritten Abschnitt, nach zuvor nur einem echten Powerplay für Kladno. „Wir wussten, dass wir bis dahin kaum eine Überzahl hatten. Wir warteten daher darauf, dass wir noch ein paar bekommen werden. Schließlich haben wir daraus im dritten Drittel zwei Tore erzielt“. Und diese Treffer schoss kein anderer als der „Chef“ persönlich: Jagr traf jeweils aus dem rechten Bullykreis mit einem strammen Schlenzer.
Nach der Partie wurde Jagr dann von Journalisten unter anderem daran erinnert, dass er den großen Rivalen schon einmal nahezu im Alleingang düpiert habe: Das war vor fast 30 Jahren im März 1990, als Jagr den ersten Hattrick seiner Profikarriere erzielte. Im Alter von gerade einmal 18 Jahren bezwang er dabei keinen Geringeren als den langjährigen tschechischen Nationaltorhüter und späteren DEL-Goalie Petr Briza. Die Presse titelte damals frech: „Jagr kouri Sparta“, was man etwa mit „Jagr rauchte Sparta in der Pfeife“ übersetzen könnte. Und diesmal hat er die Hauptstädter quasi im Vorbeigehen in die Schranken gewiesen.
Jagr begann seine erfolgreiche Karriere schon als 16-Jähriger bei einem Heimspiel von Kladno gegen Litvinov in der höchsten tschechoslowakischen Liga. Drei Wochen später, am 04. Oktober 1988, erzielte er sein erstes Tor: Er überwand die spätere Torwart-Legende Dominik Hasek. Da lag die Bemerkung nahe, dass er mit seinem ersten Spiel im Jahr 2020 schon die fünfte Dekade seiner aktiven Karriere begonnen habe – so wie vor ihm lediglich Gordie Howe. Jagrs Antwort: „Für mich ist das eine neue Information. Darauf habe ich nicht geachtet. Aber es ist wahr, mein erstes Spiel habe ich 1988 bestritten, jetzt haben wir das Jahr 2020. Die Zeit vergeht, doch ich hoffe, dass ich noch ein paar Begegnungen draufpacken werde.“
Lothar Martin