Das späte Wunder von Kosice: Deutschland drehte gegen die Slowakei einen 1:2-Rückstand in einen 3:2-Last-Minute-Sieg.
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"Ich habe schon viel erlebt, aber", begann Verteidiger Yannic Seidenberg nach dem dramatischen 3:2-Erfolg über den WM-Gastgeber in der Mixed Zone nach der Partie. Einen WM-Abend wie diesen hatten zuvor wohl die wenigsten live miterlebt. Bis in die beiden Schlussminuten war das DEB-Team mit 1:2 im Hexenkessel von Kosice zurückgelegen. Und dann hat sich das Team mit großer Moral und zwei blitzsauberen Treffern von Markus Eisenschmid und Leon Draisaitl so gut wie ins Viertelfinale geschossen."Die Slowaken waren am Ende richtig nervös. Wir haben sie so richtig weich gemacht. Das haben wir dann zum Glück ausnutzen können", bilanzierte der einmal mehr bärenstarke Schlussmann Mathias Niederberger von der Düsseldorfer EG.
Wie seine Teamkollegen ließ sich auch der deutsche Goalie von der aufgeheizten Stimmung letztendlich nicht vollends aus dem Konzept bringen. "Das ist mentale Arbeit, denn man ist schon aufgebraust", so Niederberger. "Die Stimmung war unglaublich, aber man muss den Lärm schon etwas ausblenden." Für Niederberger war es ohnehin ein am Wochenende noch nicht unbedingt erwarteter Einsatz. Erst die Verletzung von Philipp Grubauer sorgte dafür, dass der DEG-Torhüter auch im Schlüsselspiel zwischen den Pfosten stand. "Im Turniermodus muss man auf alles vorbereitet sein", sagte der 26-Jährige dazu nur.
Über die so gut wie sichere Viertelfinal-Teilnahme und die direkte Qualifikation für Olympia 2022 konnten sich die Spieler nach der nervenaufreibenden Partie am Mittwochabend noch gar nicht so wirklich freuen. Immerhin, Korbinian Holzer dazu: "Ja, das ist doch geil. Darüber brauchen wir nicht diskutieren. Wir haben uns eine gute Ausgangslage verschafft." Und auf die Frage, ob mit dieser Mannschaft sogar ein Sensationserfolg wie bei Olympia 2018 in Pyeongchang möglich ist, sagte Bundestrainer Toni Söderholm: "Im Sport generell ist viel möglich." Das "Aber" folgte jedoch auf den Fuß: "Ich würde noch nicht soweit gehen. Es stehen noch ein paar Hürden vor uns. Es ist zu früh, das Wort Medaille in den Mund zu nehmen. Es ist noch zu viel Eishockey zu spielen." Über die beiden freien Tage nach dem emotionalen Auftritt am Mittwochabend freuen sich nicht nur die Spieler, sondern auch der Head Coach: "Zum Glück haben wir ein paar Tage frei, sodass wir das Spiel voll genießen können. Und dann müssen wir zurück auf den Boden kommen."
Groß war der Ärger über den üblen Check des slowakischen Routiniers Ladislav Nagy (39) an Youngster Moritz Seider (18). Der späte Bandencheck von hinten wurde nur mit einer Zwei-Minuten-Strafe geahndet. Völlig unverständlich aus Sicht von Bundestrainer Söderholm: "Wacht auf! Wenn das keine Fünf-Minuten-Strafe ist, was ist dann eine? Man kann sogar wählen, wofür für man die große Strafzeit verhängt: Late Check, Check gegen die Bande oder Check von hinten. Und Moritz hat keinen Schläger in der Hand und hat die Scheibe nicht." So aufgebracht hat man den sonst so ruhigen Finnen in den Tagen von Kosice noch nie erlebt. "Der Kerl liegt ja fast bewusstlos auf dem Eis. Man muss die Spieler schützen, um Gottes willen: Bei sowas kann alles passieren."
Zum Glück fühlte sich Seider nach der Partie "okay", aber er wird am Donnerstag noch einmal "eingehend untersucht" werden, bevor ein Comeback beim Turnier in Kosice möglich ist. Verärgert war auch NHL-Verteidiger Holzer nach der Zehn-Minuten-Strafe gegen ihn. "Der ganze Sport verändert sich in eine Richtung, die gefällt mir überhaupt nicht", so der Abwehr-Hüne von den Anaheim Ducks. Nur der späte Sieg konnte den 31-Jährigen über die Situation in der 29. Minute hinwegtrösten. "Meiner Meinung nach ist das ein Witz, aber scheiß egal. Das geht mir jetzt auch am Arsch vorbei." Und im Fall Seider hofft Holzer auf eine Rückkehr zur nächsten Partie, denn: "Das wäre ein bitterer, bitterer Ausfall, denn Moritz hat konstant gut gespielt und wichtige Minuten gefressen."
Sebastian Groß