Die Sommer-Paralympics 2024 in Paris (28. August bis 8. September) stehen vor der Tür, die Wintersportler dagegen müssen sich noch rund anderthalb Jahre gedulden. Doch selbstredend richtet sich der Blick der deutschen Para-Eishockey-Nationalspieler bereits jetzt verstärkt Richtung Mailand und Cortina d‘Ampezzo. Jano Bussmann und Leopold Reimann sind da keine Ausnahme.
Bussmann und Reimann gehören beide zu den Neulingen im Nationalteam, ihre sportliche Geschichte könnte indes kaum unterschiedlicher sein. Denn während Bussmann trotz seiner erst 17 Jahre – der Angreifer war bei der B-Weltmeisterschaft im April der Jungspund des Kaders – bereits seit mehr als einem Jahrzehnt im Para-Eishockey aktiv ist („Ich wurde auf dem Weg zum Kindergarten von meinem jetzigen Trainer in Wiehl entdeckt“), spielt Reimann erst seit rund acht Monaten. Zuvor war der 27-Jährige als Ruderer erfolgreich, Bezug zum Eishockey gab es: keinen. „Ich habe nicht mal gewusst, dass es Eishockey paralympisch gibt“, sagt Reimann.
Es liegt gleichwohl in Reimanns Ruder-Karriere begründet, warum seine Lust auf die Paralympics 2026 besonders groß ist. Schließlich schrammte der Stürmer vom Para Eishockey-Club Berlin zweimal knapp an den Sommer-Paralympics vorbei: 2016 reichte es nur für die Rolle als Ersatzmann, für Tokio 2021 fehlten 0,6 Sekunden (!) zur Qualifikation. Und als 2022 auch noch Reimanns Partnerin im Boot aufhörte, „hatte ich nicht mehr so die Perspektive im Rudern“. Doch dafür öffnete sich nach anfänglichem Zögern die Tür zum Para-Eishockey. „Als ich bei einem Sichtungslehrgang war, war relativ schnell klar, dass ich ein gewisses Talent mitbringe“, schildert Reimann seinen rasanten Sportarten-wechsel. Auch er gehörte im April in Norwegen bereits zum WM-Team – „noch nicht mit viel Eiszeit, aber um die Erfahrung mitzunehmen. Ich bin mega glücklich, dass sie an mich glauben und Lust haben, mich zu entwickeln. Das hat mir richtig Motivation gegeben.“
Eine ganz besondere Entwicklungschance bot sich Reimann wie auch Bussmann Ende Juli, als sie nach Vermittlung der Nationaltrainer Andreas Pokorny und Michael Gursinsky gemeinsam mit zwei weiteren deutschen Nationalspielern (Steven Betz und Marcel Malchin) am sechstägigen Development Camp des US-Verbandes teilnehmen durften – als erste internationale Gäste überhaupt. „Wir vier wurden ausgewählt, weil wir mehr oder weniger die Neuesten in der Mannschaft sind und am meisten aufholen müssen. Dort im Camp waren knapp 60 Leute, mit dem Staff etwa 70 Leute“, erzählt Reimann. Trainiert wurde in den Einrichtungen des NHL-Clubs Philadelphia Flyers – vormittags off-ice, nachmittags dann auf dem Eis, inklusive eines täglichen Abschlussspiels am Abend. Das Programm war also straff, zumal Bussmann und Reimann mit ihren Clubs in Wiehl und Berlin in der Regel nur ein einziges Eistraining pro Woche haben. Doch die Reise hat sich offenbar gelohnt. „Man hat gemerkt, dass Dinge wie das Skating oder das Stickhandling besser wurden“, sieht Bussmann die Fortschritte bei sich darüber hinaus auch in der Handlungsschnelligkeit, denn: „Es waren alles Übungen, bei denen man spontan reagieren musste.“ Eindruck hinterließen die US-Methoden auch bei Reimann: „Es ist schon krass, auf was für einem Level die Amerikaner spielen und was sie für Tipps hatten. Das hat mich total weitergebracht, ich konnte mir viel abgucken.“
Mit den Erfahrungen aus den USA im Gepäck haben Bussmann, Reimann und das deutsche Para-Nationalteam in der neuen Saison ein großes Ziel: das direkte Ticket für die Paralympics 2026 ohne Umweg über ein Qualifikationsturnier. Nach dem direkten Wiederaufstieg ist dafür bei der A-WM 2025 – Termin und Ort sind noch unbekannt – der fünfte Rang im Achterfeld nötig. „Mit dem vierten oder fünften Platz kann es etwas werden, wenn wir uns reinhängen und der eine oder andere glückliche Moment auf unserer Seite ist“, zeigt sich Reimann optimistisch. „Natürlich haben wir noch Baustellen“, sagt der Angreifer zwar und nennt die Chancenverwertung sowie generell die mentale Coolness als Beispiele, „aber die Trainer kennen die“. Und grundsätzlich stimme die Mischung im Aufgebot: „Wir haben einen guten Nachwuchs, aber wir haben auch richtig starke Führungsspieler.“
An der Entschlossenheit scheint die Qualifikation jedenfalls nicht zu scheitern. „Ich habe den Traum, zu den Paralympics zu kommen, seitdem ich sechs Jahre alt war. Den kann mir auch keiner nehmen – ich mache es, bis ich es erreicht habe“, sind Jano Bussmanns Ambitionen unmissverständlich, und auch Leopold Reimann ist angesichts seiner Vorgeschichte „mega motiviert. Jetzt muss es irgendwann mal klappen, ich werde alles dafür tun.“ Schließlich wäre die paralympische Bühne auch als Wachstumschance für eine Sportart, in der die wenigen deutschen Clubs (zuletzt nur fünf Liga-Teilnehmer) stetig um die Spielfähigkeit kämpfen müssen, eminent wichtig.
Stefan Wasmer
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